Gottesdienst in versammlungsarmer Zeit

Die Messe als Videokonferenz. Ein Erfahrungsbericht von Pfarrer Dr. Heiko Merkelbach

Aufgrund der Coronakrise und den verfügten Einschränkungen stand über Nacht jede Gemeinde plötzlich vor der bislang einmaligen Situation die Eucharistie, Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Lebens (Zweites Vatikanisches Konzil, LG 11) nicht mehr in der Gemeinschaft einer Gemeinde feiern zu können. Aus dem personal distancing wurde zugleich ein divine distancing. Natürlich ist Gott überall und offenbart sich manchmal auch im Verborgenen und in seiner Abwesenheit. Für die meisten Gemeindemitglieder fiel jedoch über Nacht ihre sichtbare und greifbare Verbindung mit ihrer Kirchengemeinde, mit ihrem öffentlichen Glaubensleben und damit auch mit ihrer erlebten Gottesnähe aus.

Jeder Pfarrer, alle Gemeindeleitungen sind auf einmal mit dieser neuen Situation konfrontiert und werden – hoffentlich – erfinderisch. Wie kann der Kontakt mit den Gemeindemitgliedern aufrechterhalten werden. Die Livestream-Angebote im Internet sprießen wie Pilze aus dem Boden. Fernseh- und Rundfunkübertragungen von Gottesdiensten und geistlichen Worten gibt es schon seit langem. Soll ich die Eucharistiefeiern, welche ich jeden Tag mit meinem Pfarrvikar und dem Diakon in der Pfarrkirche feiere, nun auch ins Netz stellen? Die Predigten sind schon seit langem über die Homepage der Gemeinde online abrufbar. Irgendwas sträubte sich in mir. Was ist mit der participatio actuosa in unseren Gottesdiensten, der tätigen Teilnahme aller, einem Grundprinzip der liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts? Müssen wir notgedrungen wieder auf eine überwundene Spiritualität der Eucharistiefeier zurückkommen, in der der Priester die Messe liest und die anderen dem beiwohnen, die Messe gleichsam rezipieren?

Ist es nicht möglich, auch unter diesen erschwerten Bedingungen wenigstens ein bisschen Interaktivität herzustellen und aus der kommunikativen Einbahnstraße einen Begegnungsverkehr machen? In der Industrie wird viel von „New Work“ gesprochen. Längst schon ist bei vielen die Arbeit nicht nur im Büro zu leisten. Der Ort spielt in Bereichen vieler Branchen längst keine Rolle mehr. Persönlicher Kontakt ist in vielen Firmen schon die Ausnahme. Durch die Corona-Krise wurden – auch über Nacht – viele Firmen ins New Work katapultiert, zumindest was die Ermöglichung des Homeoffice anlangt. Zunächst waren es die Ferienheimkehrer aus Risikogebieten, dann auf einmal ganze Belegschaften, die von zu Hause arbeiten mussten. Und auf einmal kommunizieren viele über Videokonferenzen. Auch in den Familien werden auf einmal Skype, Facetime, Zoom, Google Hangout etc. entdeckt, um mit den Großeltern kommunizieren zu können oder auf der Wohnzimmercoach der entfernt lebenden Verwandtschaft zu landen.

Wäre eine Art Videokonferenz auch eine Möglichkeit für unsere Gottesdienste? Warum nicht? Die Predigt müsste nicht mehr vor leeren Kirchenbänken und imaginären Zuhörern gehalten werden. Der Prediger bekäme so unmittelbare Reaktion durch die Mimik der Zuhörenden. Die Mitfeiernden würden andere visuell und auditiv wahrnehmen. Als Mitfeiernder wäre man nicht in die Rolle des Publikums gedrängt, sondern könnte sich aktiv beteiligen durch Mitsingen, Mitbeten, evtl. auch durch freie Fürbitten. Einfach mal ausprobieren, dachten wir uns. Die wenigen technischen Fachleute, die man dafür braucht, waren schnell in der Gemeinde gefunden. Es ist ja nicht so schwer. Als erstes musste ein Internetschluss in die Sakristei gelegt werden – zunächst provisorisch. Wie gut, wenn man einen guten Draht zum Elektriker hat. Dann die Frage: Welches Programm nehmen wir? Wir entschieden uns zunächst für Google Hangout, wollen aber auch noch mal mit Zoom experimentieren. Da wir drei festinstallierte Kameras benutzen wollen – kleine Webcams, die wir auf Mikrofonständer installierten – haben wir uns noch für ein einfaches kostenloses Broadcaster Programm (OBS Studio) entschieden, mit denen wir dann zwischen den einzelnen Kameras hin und herschalten und auch einzelne Texte und Liednummern einblenden können. Im Mittelgang haben wir das Bild der Videokonferenz, einschließlich der Mitfeiernden mit einem Beamer auf eine Leinwand projiziert, damit wir Liturgen die Anderen sehen können.

Die Premiere am 5. Sonntag der Fastenzeit war noch etwas holperig. Wir haben gemerkt, dass der gemeindeeigene Laptop zu langsam ist und nicht die Konferenz mit über 30 Mitfeiernden managen konnte. Diesem Umstand kann man leicht abhelfen. Es zeigte sich, dass von den Mitfeiernden, wie bei jeder Videokonferenz, eine gewisse Disziplin gefordert wird, was die Handhabung des Mikrofons betrifft, hören doch immer alle alles, was in ein offenes Mikrofon gesagt oder an anderen Lautäußerungen abgegeben wird. Die Anforderung an den Gesang und die Gleichzeitigkeit des Gebetes muss sicher reduziert werden. Aufgrund unterschiedlicher Übertragungsgeschwindigkeiten kommen manche Antworten und Töne etwas zeitversetzt, was von einem Mitfeiernden dann gleich als „Katzengejammer“ bezeichnet wurde, sehr zur Erheiterung der anderen.

Die Form der Eucharistiefeier war ganz bewusst schlicht gehalten. Einige wenige Lieder. Wir haben gemerkt, dass sich Wechselgesänge mit einem Kehrvers und Psalmen besonders eignen.

Im Ganzen ist der Aufwand auch nicht viel größer als bei einem Livestream. Das Gemeinschaftserlebnis wurde von vielen Mitfeiernden als sehr positiv erlebt. Dieses lässt über manche technische Panne und manche Nebengeräusche leicht hinwegblicken. Unser Anliegen ist nicht, mit perfekten Fernsehproduktionen zu konkurrieren, sondern Gemeinschaft, Communio mit Gott und untereinander zu ermöglichen. Bei einer größeren Anzahl an Mitfeiernden wäre ein „Moderator“ am Laptop erforderlich, der die Mikrofone der Mitfeiernden steuert.

Wir waren mit der Premiere schon sehr zufrieden. Einiges wollen wir für den kommenden Sonntag verbessern. Auf jeden Fall wollen wir diesen Weg weitergehen, bis wir wieder in Realität uns am Sonntag in der Kirche zur Feier der Quelle und des Höhepunktes unseres christlichen und damit auch gemeindlichen Lebens versammeln können. Ein Gemeindemitglied schrieb mir nach dem Gottesdienst: „Ich ermutige Sie, das Projekt weiterzuführen. Es ist sicherlich für viele Gemeindemitglieder wertvoll, in der versammlungsarmen Zeit etwas Gemeinde zu spüren.“

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